Kontaktlinsen im Myopie-Management
Frau Petra Zapsky ist eine staatlich geprüfte Augenoptikerin und Augenoptikermeisterin sowie Master of Sciene in Clinical Optometry. Sie ist seit Oktober 2016 für den Bereich Professional Affairs und Myopie-Management bei CooperVision verantwortlich.

Frau Zapsky gibt seit mehr als 25 Jahren ihr Wissen im Rahmen von Schulungen, Webinaren, aber auch in Konferenzen weiter. Im Juni 2017 war sie massgeblich für die Einführung der MiSight 1 day Einmalkontaktlinsen in der DACH-Region verantwortlich. Das Ziel ist, augenoptische Fachkräfte im sicheren Umgang mit der MiSight 1 day zu schulen und Ihnen mit auf den Weg zu geben, dass Kinder mit Myopie eine evidenzbasierte Behandlung für ein Leben mit besserem Sehen verdienen. Im Gespräch mit Frau Zapsky haben wir auch weitere Informationen zum Myopie-Management mit Kontaktlinsen erhalten.
Grundlagen und Relevanz
Frau Zapsky, warum gewinnt das Thema Myopie-Management – insbesondere bei Kindern und Jugendlichen – aktuell so stark an Bedeutung?
Studien zeigen: Kinder werden immer früher kurzsichtig, Mittlerweile betrifft Kurzsichtigkeit weltweit fast jedes dritte Kind. Die Gründe sind vor allem auf die veränderten Lebensumstände zurückzuführen. Kinder verbringen heute in der Regel viel zu wenig Zeit im Freien, dafür wesentlich mehr Zeit vor Bildschirmen, Handys & Co. Daher ist es wichtig, dass Eltern frühzeitig auch auf die Augengesundheit ihrer Kinder achten, denn eine unentdeckte Kurzsichtigkeit entwickelt sich vor allem in jungen Jahren schnell, was zu erheblichen Beeinträchtigungen im Leben des Kindes führen kann. Im schlimmsten Fall drohen im späteren Leben schwerwiegende Augenkrankheiten. Daher sollte, wie schon vom World Council of Optometry im Jahr 2021 gefordert, Myopie-Management der Standard in der Versorgung sein.
Welche Rolle spielen Kontaktlinsen im Vergleich zu anderen Methoden?
Kontaktlinsen können, nicht nur für Kinder, allgemein eine attraktive Alternative zur Brille sein. Kontaktlinsen sind praktisch, schränken Kinder in ihrer Bewegungsfreiheit nicht ein und verändern ihr Aussehen nicht. Das ist nicht nur im Alltag praktisch, sondern vor allem auch in der Freizeit und bei sportlichen Aktivitäten. Auch zeigen Studien, dass sich Kinder durch das Tragen von Kontaktlinsen sozial besser integriert fühlen. Ein riesengrosser Vorteil von Kontaktlinsen ist, dass sie im Gegensatz zur Brille nicht einfach vom Kind zwischendurch abgesetzt und zur Seite gelegt werden, denn einmal aufgesetzt, bleiben sie bis zum Abend dort, wo sie hingehören, unsichtbar auf dem Auge.
Kontaktlinsen im Myopie-Management
Welche Arten von Kontaktlinsen werden speziell zum Managen des Fortschreitens der Myopie eingesetzt (z. B. Ortho-K, multifokale Linsen)?
Wir managen die Myopie, indem wir versuchen, ihr Fortschreiten bestmöglich zu hemmen. Für das Myopie-Management kommen viele Produkte, nicht nur in der Kontaktoptik, zum Einsatz. Hierbei ist jedoch wichtig zu unterscheiden, ob diese speziell für diesen Zweck zugelassen sind (on-label) oder ohne Zulassung (off-label) genutzt werden.
Ein sogar von der FDA dafür zugelassenes Produkt sind die MiSight 1 day. Sie erzeugen durch ihre ActiveControl-Technologie einen sogenannten peripheren myopen Defokus, der das Längenwachstum des Auges hemmen kann. Studien zeigen, dass sie das Fortschreiten der Myopie im Durchschnitt um bis zu 60 % über drei Jahre reduzieren können.
Orthokeratologie-Kontaktlinsen (Ortho-K) sind formstabile Kontaktlinsen, die über Nacht getragen werden und die Hornhaut so modellieren, dass tagsüber keine Sehhilfe nötig ist. Durch spezielle Designs im Ortho-K Bereich wird auch hier ein peripherer myoper Defokus erzeugt, der das Fortschreiten der Myopie verlangsamen kann.
Auch einige multifokale Kontaktlinsen zeigen ebenfalls eine Reduktion der Myopieprogression um 25–72 % in Studien. Da es sich hier jedoch um Kontaktlinsen für Presbyope handelt, ist deren Anwendung nicht offiziell für das Myopie-Management zugelassen, die Nutzung ist also off-label.
Wie wirken diese Linsen physiologisch auf das Auge bzw. die Myopieentwicklung?
Die physiologische Wirkung von Kontaktlinsen im Myopie-Management – insbesondere MiSight 1 day Einmalkontaktlinsen und Ortho-K Linsen – basiert auf gezielter Beeinflussung des Fokus auf der Netzhaut, um das axiale Längenwachstum des Auges zu verlangsamen.
Das Wirkprinzip der MiSight 1 day Einmalkontaktlinsen ist der periphere myope Defokus, der so lange wirkt, solange die Kontaktlinsen getragen werden.
Das Wirkprinzip von Ortho-K Linsen (formstabile Nachtlinsen) basiert auf einem peripheren Defokus, verursacht durch eine temporäre Umformung der Hornhaut.
Warum funktioniert das Prinzip des myopen Defokus?
Es wird vermutet, dass die Netzhaut auf unscharfe periphere Bilder mit einem Wachstumsreiz reagiert. Durch gezielte Verlagerung des peripheren Fokus vor die Netzhaut wird dieser Reiz unterdrückt. Das Auge «lernt», dass es nicht länger wachsen muss, was die Myopieprogression verlangsamt.
Gibt es Unterschiede in der Wirksamkeit zwischen den verschiedenen Kontaktlinsenarten?
Alle drei Methoden sind wirksam, aber: MiSight 1 day Einmalkontaktlinsen sind besonders geeignet für Kinder, die eine einfache, hygienische Lösung mit weichen Einmallinsen bevorzugen. Die MiSight 1 day ist übrigens auch die einzige CE- und FDA-zugelassene Kontaktlinse für das Myopie-Management bei Kindern und Jugendlichen. Ortho-K ist ideal für Kinder, die tagsüber keine Sehhilfe tragen möchten und besonders wirksam bei niedriger und mittlerer Myopie. Multifokale Kontaktlinsen sind eine flexible Option, aber nicht alle sind offiziell für das Myopie-Management zugelassen.

Praktische Umsetzung
Wie läuft eine typische Anpassung solcher Kontaktlinsen ab?
Die Anpassung der MiSight 1 day unterscheidet sich nicht von der Anpassung jeder anderen Einmalkontaktlinse. Zunächst wird eine aktuelle, bedarfsgerechte Refraktion durchgeführt, und hieraus das BSG berechnet und gemessen. Natürlich wird vor der Anpassung eine exakte Spaltlampenmikroskopie und Keratometrie, bzw. Topometrie durchgeführt. Anhand der ermittelten Werte wird die passende MiSight 1 day ausgewählt und aufgesetzt. Im zweiten Schritt wird nach einer Gewöhnungsphase (Toleranztest) die Anpassung geprüft, evtl. notwendige Änderungen werden vorgenommen und im dritten Schritt wird dann mit dem Kind die Handhabung geübt. Hier kann evtl. gerade zu Beginn die Involvierung der Eltern hilfreich sein. Bei der Abgabe MiSight 1 day erklärt der Augenoptiker oder die Augenoptikerin neben der Handhabung die Hygiene der Kontaktlinse und was beim Tragen zu berücksichtigen ist. Ideal ist, wenn das Kind die Vorgänge (mindestens das Absetzen der Kontaktlinsen) weitestgehend selbstständig durchführen kann. Nicht vergessen werden sollte die exakte Information, dass die MiSight 1 day an mindestens 6 Tagen für jeweils mindestens 10 Stunden getragen werden muss, um die Wirksamkeit sicherzustellen. Zudem wird ein Nachkontrolltermin vereinbart. Dieser sollte in der Regel 14 Tage nach der Anpassung stattfinden.
Ab welchem Alter kann man mit dem Einsatz beginnen?
Es ist wichtig, mit der Versorgung so früh wie möglich, nach Feststellung der Myopie, zu starten. Kinder ab acht Jahren sind in der Lage, Kontaktlinsen aufzusetzen. Wir haben eine kleine Faustformel: Wenn sich ein Kind die Schuhe zubinden kann, dann kann es auch Kontaktlinsen handhaben.
Welche Voraussetzungen müssen Kinder oder Jugendliche mitbringen, um für diese Linsen geeignet zu sein?
Es hängt natürlich grösstenteils von der Reife der Kinder ab, von ihrem Verantwortungsbewusstsein und wie geschickt sie sich im Umgang mit den Kontaktlinsen anstellen. Die meisten haben aber Lust auf Kontaktlinsen und erlernen den Umgang sehr schnell.
Wie gross ist der Aufwand für Kontrolle, Hygiene und Nachsorge?
Der Aufwand ist nicht grösser als für jede andere Kontaktlinse auch. Die Aufklärung zur Hygiene und Nachsorge übernimmt der Augenoptiker oder die Augenoptikerin. Wir stellen ausführliche Handhabungshinweise zur Verfügung, die Eltern und Kinder ebenfalls über die richtige Handhabung informieren. Nachkontrollen sollten, wie bei anderen Kontaktlinsen, alle 1/2 Jahre stattfinden.
Erfahrungen und Patientenperspektive
Welche Rückmeldungen erhalten Sie von Eltern und jungen Patienten?
Unsere Kundinnen und Kunden melden uns zurück, dass Eltern im Vorfeld oft skeptisch reagieren, wenn das Gespräch auf Kontaktlinsen für ihre Kinder kommt. Wenn sie aber sehen, wie begeistert ihre Kinder nach der Anpassung sind, schlägt die Begeisterung meistens auf sie über. Oft sind diese regelrecht überwältigt, wie gut ihre Kinder mit den Kontaktlinsen zurechtkommen.
Herausforderungen und Risiken
Welche typischen Schwierigkeiten oder Risiken treten in der Praxis auf?
Typische Schwierigkeiten könnten beispielsweise ein Trockenheitsgefühl oder ein Fremdkörpergefühl sein, die anfangs auftreten können. Diese verschwinden aber meist nach kurzer Zeit. Da es sich um Einmalkontaktlinsen handelt, ist die Handhabung grundsätzlich einfach, dennoch kann es bei jüngeren Kindern zu Unsicherheiten beim Auf- und Absetzen kommen oder auch zu Hygienefehlern, wenn die Hände nicht gründlich gewaschen wurden. Auch eine nicht optimal zentrierte Linse kann die Wirkung der myopischen Defokussierung beeinträchtigen. Besonders bei Kindern mit grossen Pupillen oder unruhigem Blickverhalten kann dies eine Herausforderung darstellen. Darüber hinaus ist es wichtig zu wissen, dass ein Astigmatismus nicht durch die Linse korrigiert wird. Hier sollte die 20 % Regel zur Anwendung kommen. Unsere MiSight 1 day gilt als sicher und gut verträglich.
Wie gehen Sie mit Komplikationen oder Abbrüchen der Therapie um?
Wenn Myopie-Management als Behandlungsform zunächst abgelehnt wird, sollten wir als Spezialistinnen und Spezialisten mit guter Aufklärung vorgehen und auf regelmässige Kontrollen der Myopie, spätestens alle 1/2 Jahre, hinweisen, denn was uns in die Karten spielt: die Zeit. Denn auch wenn der Leidensdruck vielleicht anfangs noch nicht da war, ist er das schnell nach einigen Monaten, wenn Eltern beim Kontrolltermin merken, dass die Kurzsichtigkeit ihres Kindes weiter abgenommen hat, sprich das Sehen schlechter geworden ist. Stellt sich beim Myopie-Management mit der MiSight 1 day der Erfolg nicht wie gewünscht ein, so sollte zuerst die Compliance überprüft werden. Trägt das Kind die Kontaktlinsen wirklich wie erforderlich oder sind die Tragezeiten geringer. Hier sollte dann nachjustiert werden. Manchmal kann es auch erforderlich sein, die Therapieform zu verstärken oder zu wechseln.
Zukunftsperspektiven
Welche Entwicklungen oder Innovationen erwarten Sie im Bereich des Myopie-Managements in den nächsten Jahren?
Wir gehen davon aus, dass das Myopie-Management in der breiten Bevölkerung immer bekannter wird und immer mehr Eltern nach dieser Therapieform verlangen werden. Wir stehen bereit mit einem umfassenden Portfolio an marktführenden Produkten und Marken, die es augenoptischen Fachkräften ermöglichen, der kindlichen Myopie entgegenzuwirken. Dazu zählen zugelassene Produkte wie Einmalkontaktlinsen, Ortho-K-Kontaktlinsen und spezielle Brillengläser. Wir erhoffen uns auch ein Umdenken auf Seiten der Augenärzte und Augenärztinnen und eine engere Zusammenarbeit zwischen der Ärzteschaft und dem augenoptischen Gewerbe. Das würde einiges bewirken.
Glauben Sie, dass sich Kontaktlinsen als Standardlösung etablieren werden?
Wir sind der festen Überzeugung, dass es so kommen wird. Kontaktlinsen werden eine zentrale Rolle im Myopie-Management spielen – insbesondere bei Kindern mit fortschreitender Myopie und hoher Motivation. Ob sie sich als alleiniger Standard durchsetzen, ist fraglich. Wahrscheinlicher ist ein individualisierter Ansatz, bei dem Kontaktlinsen eine von mehreren gleichwertigen Optionen darstellen.
Gibt es etwas, das Sie Eltern, Jugendlichen oder Fachkollegen in Bezug auf Kontaktlinsen im Myopie-Management besonders mitgeben möchten?
Für die meisten Eltern und Kinder ist das Thema Myopie und ihre möglichen Folgen unbekannt und teilweise sogar angsteinflössend. Daher ist es unsere Verantwortung und Aufgabe als Augenspezialistinnen und Augenspezialisten hier aktiv und sehr einfühlsam zu informieren und über die Auswirkungen der Myopie auf die derzeitige Lebensqualität aufzuklären. Die Vorteile von Myopie-Management statt nur der Myopie-Korrektion müssen klar aufgezeigt werden, jedoch ohne mit «erhobenem Zeigefinger» auf den möglichen späteren Verlust der Sehkraft hinzuweisen. Zusätzlich hilft aktives Myopie-Management dabei, den Kundenstamm auf- und auszubauen, denn Kinder, die heute mit Myopie-Management-Kontaktlinsen versorgt werden, sind die glücklichen Kontaktlinsentragenden von morgen. Daher: Trauen Sie sich!
Interviewpartnerin:
Petra Zapsky – Head of Professional Affairs & Myopia Management CooperVision DACH.